Was selbst der Boss nicht sah

Man sollte meinen, dass es kaum einen kompetenteren Partiekommentator gibt als Garry Kasparow mit Unterstützung moderner Computertechnik. Unfehlbar ist allerdings niemand und die immer stärker werdenden Engines fördern manchmal die erstaunlichsten Dinge zutage. Neulich blätterte ich in Band 3 der berühmten Serie “My Great Predecessors” und suchte eigentlich etwas ganz anderes, stieß aber irgendwo zufällig auf einen hineingekritzelten Zug mit vielen Ausrufezeichen. Die Notiz kann eigentlich nur von mir stammen, auch wenn ich mich nicht erinnere, wann und warum ich die Partie analysiert habe. Der Zug ist jedenfalls großartig! Es geht um folgende Stellung:

Es handelt sich um die Partie Stein – Smyslov, Moskau 1972, Variante zum 19. Zug von Schwarz (wer das Buch hat: S. 264 der englischen Ausgabe, Variante 19…Se5 statt 19…e5). Schwarz hat einen Zug zuvor den Td1 clever mit 21…c2! angegriffen, worauf 22.Txd8+ Txd8 23.Dxc2 wegen 23…Sf3+ 24.Ke2 Sd4+ nicht ging. Nach 22.Tc1 soll Weiß aber auf Gewinn stehen, meint der “Boss”. Das ist allerdings falsch! Schwarz verfügt hier über einen unglaublichen Konter, mit dem er sogar in Vorteil kommt. Findet jemand den Zug, den der beste Spieler aller Zeiten nicht sah?

Der richtige Zug ist 22…Dd4!!, was sämtliche Schwerfiguren “einstellt”. 23.Dxd4 ergibt nach 23…Sf3+ einen für Weiß unvorteilhaften Damentausch, also gibt es nichts Besseres als 23.Dxa8+. Nach 23…Ke7 ist der zweite Turm nicht zu nehmen (das Matt in zwei Zügen findet hoffentlich jeder selbst), also 24.Db7+ Kf6 und wir erreichen eine ziemlich erstaunliche Stellung, in der Weiß trotz seines Mehrturms ums Überleben kämpft. Es droht mörderisch 25…Td8! nebst Matt in der d-Linie (was z.B auch auf 25.Txc2 käme). Ich will hier nun nicht endlose Computervarianten abschreiben und empfehle allen Lesern die eigenständige Beschäftigung mit der Stellung – es lohnt sich! Am Rande sei das wichtige Detail erwähnt, dass nach dem naheliegenden 25.fxe6 der Th7 ungedeckt ist und nach ein paar Schachs abgeholt werden kann. Eine köstliche Variante möchte ich noch beispielhaft angeben: 25.Th6+ Kxf5! 26.Lh3+ (nicht der beste Zug, aber egal) Kg5 27.Dg2+ Kxh6 28.Dxg8 De4+ 29.Kf1 Dh1+ 30.Dg1 Dxh3+ 31.Dg2 Dxg2+ 32.Kxg2 Sd3! 33.Txc2 Se1+ und Schwarz gewinnt. Faszinierend, wie ein Rädchen ins andere greift, nicht wahr?

2 Kommentare

  1. Allerdings. Dd4 habe ich sogar gesehen, allerdings nicht, dass danach der Turm a8 einsteht – ansonsten wäre es wohl auch doch etwas zu einfach gewesen.

    Ich habe übrigens auf dem Hinflug nach Amerika meine Festplatte gecrasht, auf der leider auch mein Fritz 12 Programm drauf war – wie kann man denn sonst noch CBH Dateien öffnen?

  2. Bestimmt haben dir die Amis einen Virus aufgespielt, weil sie nicht wollen, dass du ihre Turniere gewinnst. Probier’s doch einstweilen mit dem ChessBase Reader (auf der Chessbase-Seite unter Downloads).

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