Verpasste Jahrhundertkombi

Nicht viel los gerade in der lokalen Schachszene, Sommerpause, Saure-Gurken-Zeit. Keine schlechte Gelegenheit, um einen Blick in andere Sphären zu werfen. Freunde gepflegter Blogs kennen vielleicht schon den zweitbesten Schachblog der Welt, der vom Hamburger Jung-Großmeister Niclas Huschenbeth erstellt wird. Regelmäßige Turnierberichte, ausführliche Analysen, Videos usw., alles prima. Mir gefällt’s jedenfalls und der Junge kommt auch einfach sympathisch rüber. Eine Sache, die “Huschi” neulich zeigte, ist so sensationell, dass ich sie klauen aufgreifen möchte. Es geht um folgende Stellung aus der Partie Ni Hua – Le Quang Liem (Ho Chi Minh City 2012):

Weiß hatte gerade 29.g6 gespielt, was aus Computersicht ein fürchterlicher Fehler ist (“erzwungen” war 29.Dxh7+ mit schlechterem Endspiel), aus Menschensicht hingegen bärenstark. Was soll Schwarz jetzt noch erfinden? Auf g6 kann man nicht nehmen und ein paar kindische Racheschachs bringen auch nichts, oder? Dem mit Schwarz spielenden Vietnamesen (Elo über 2700) fiel hier nichts mehr ein, was man ihm kaum verübeln kann. Wer die Partie noch nicht kennt, mag trotzdem einfach mal sein Glück versuchen (ggf. mit Ausprobieren auf einem richtigen Brett), wobei zwei Tipps ein wenig helfen dürften. Erstens: Schwarz gewinnt forciert (Matt oder riesiger Materialgewinn). Zweitens: immer Schach geben, es könnte ja matt sein…

29…La3+ liegt noch halbwegs nahe und man kann auch noch darauf kommen, dass 30.Kc3?! sehr kräftig mit Txc4!+ beantwortet wird, z.B. 31.Kxc4 Dc6+ 32.Kxb3 Db5+ 33.Kxa2 Lc1+ 34.Sxa8 Db1#. Spannender ist die Frage, wie es nach 30.Kxb3 weitergehen soll. Hier kommt nun erst einmal trickreich 30…a1S+! (lenkt den Turm von d4 ab) und nach 31.Txa1 folgt die Keule: 31…Dxb6+!! 32.Lxb6 Sd4+! Der Springer ist nicht zu nehmen, denn nach 33.Lxd4 Tcb8+ 34.Kc3 Lb4+ 35.Kb2 Ld2+ ergibt sich ein schönes Mattbild. Also 33.Kc3 und nun kann unglaublicherweise auch noch der Turm geopfert werden: 33…Txc4+!! 34.Kxc4 Tc8+ nebst Matt. Ein nicht ganz unwichtiges Detail ist, dass 34.Kd2 den Weißen auch nicht rettet, da 34…Sxf3+ die Dame aufgabelt, wonach Schwarz mit einer Figur und ein paar Bauern mehr verbleibt. “Das wäre wohl eine der schönsten Kombinationen des neuen Jahrhunderts gewesen”, kommentiert Huschenbeth zu Recht.

In der Partie geschah stattdessen 29…h5? 30.Dxh5 La3+ 31.Kxb3 1-0. Dieselbe kombinatorische Idee wie eben (wenn man sie plötzlich doch sehen sollte) funktioniert jetzt nicht mehr, da am Schluss keine Dame mehr auf h2 steht, die man aufgabeln könnte.

3 Kommentare

  1. Erstaunlich, was die Rechner heutzutage alles finden. Ich habe zum ersten Mal seit langem Brett und Figuren vom Regal geholt, um das nachzuspielen.

    Die Stellung sieht auf den ersten Blick so aus, als wäre es eine Partie von Shirov… Ich weiß nicht, ob irgendein Spieler der Weltspitze die Kombination gesehen hätte – inklusive Anand, der als begnadeter Rechner bekannt ist.

    Möglich aber, dass ein schwächerer Spieler das gefunden hätte: jemand, der sich nicht zutraut, die Stellung zu verstehen und noch ein paar (Rache-) Schachs gibt. Wenn es dann mit etwas Glück bis zu 32… Sd4+ gekommen wäre, hätte es vielleicht beiden Spielern gedämmert, was los ist.

  2. Test – Eintrag eben ist verloren gegangen.

  3. Hallo Turgon, aus mir unbekannten Gründen ist Dein erster Eintrag in einem Spamfilter verschwunden. Ich konnte ihn aber erfolgreich bergen. Tut mir leid für die Verzögerung; die Blogredaktion war zu schwach besetzt, um den enormen Arbeitsanfall zu bewältigen 😉

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