Seiten: 1 2
Schweizer Gambit
Vermutlich wegen der TV-Übertragungen nicht nur nach Norwegen war Carlsen auch in Runde 2 am Spitzenbrett zu Gange, und zwar gegen den erst 16jährigen Usbeken Shamsiddin Vokhidov, ein vermutlich nicht nur mir völlig unbekannter IM mit ELO knapp über 2300. Und Carlsen, der ja in diesem Jahr die Theorie durch Eröffnungen wie 1.e4 c5 2.Sa3 (in Biel gegen GM Georgiadis) oder 1.f3 e5 2.Sh3 (in der ProChess-League gegen GM Lalith) zu bereichern wusste, folgte diesmal Motiven eines mir nicht näher bekannten Meisters Schäfer (Vorsicht Ironie!):
Carlsen, Magnus – Vokhidov, Shamsiddin Fide-Rapid-WCH 2018 (Runde 2, 26.12.2018)
1.e4 e5 2.Dh5?!
Der sonst eher in Anfängerkreisen bekannte Schäferzug fehlte dem Weltmeister wohl noch in seiner Vita. Ich möchte nicht wissen, wie viele Kaffeehauspartien so begannen, bekannt ist mir aber die nette Anekdote, dass einst der Schwarze seinen Zentralbauern mit 2… f7-f6 decken wollte, dieser Zug aber nicht den Regeln entsprach und stattdessen ein Strafzug(!) mit dem König auszuführen war. Nach 2… Ke8-e7 konnte sein Gegner natürlich den Bauern e5 unter lautstarkem “Schachmatt” herausschlagen.
Die weitere Folge gibt Carlsen aber immerhin dahingehend Recht, dass sein junger Gegner in Bestrebung größtmöglicher Vereinfachung rasch in positionellen Nachteil gerät.
2.. Sc6 3.Lc4 g6 4.Df3 De7 5.Se2 Sf6 6.d3 Lg7 7.Sbc3 h6 8.Sd5 Sxd5 9.exd5 Sa5 10.d6 cxd6 11.Ld5 Sc6 12.Ld2 Df6 13.De4 0-0 14.0-0 Se7 15.Sc3 Df5 16.Db4 Sxd5 17.Sxd5 Kh7 18.Sc7 Tb8 19.Dxd6 b6
Zwar ist die Stellung materiell ausgeglichen, dank der unkoordinierten schwarzen Figuren hätte Carlsen hier mit 20.Se8! schön und auch relativ schnell gewinnen können. Ich vermag nicht einzuschätzen, ob ihm der Qualitätsgewinn nach 20… Txe8 21.Dxb8 nicht genügte, oder ob er nach 20… Tb7 die Fortsetzung 21.Sxg7 Kxg7 22.Lxh6+ übersehen hatte. Sein Zaudern, mit dem er unter anderem auch den Gewinn der ersten WM-Partie in London ausgelassen hatte, wird ihm hier abermals zum Verhängnis.
20.f3? Lb7 21.Tae1 Tfc8
Nur zwei Züge später ist die zuvor noch aktive Dame auf d6 plötzlich zur Zielscheibe geworden, so dass Weiß hier mit 22.Sb5 a6 23.Sc3 schleunigst seine Stellung absichern musste. Aber zugegeben, wer möchte gegen einen Spieler mit 600 ELO-Punkten weniger schon derartige Zugeständnisse machen.
22.Lc3?? Lf8 und “game over”, denn 23.Dxe5 Dxe5 24.Lxe5 d6 verliert eine glatte Figur! Dass Carlsen lieber seine Dame gegen einen Turm opfert, mag allenfalls für die Zuschauer eine Bereicherung gewesen sein.
23.Sb5 Lxd6 24.Sxd6 De6 25.Sxc8 Txc8 26.Txe5 Dd6 27.Tfe1 Ld5 28.a4 Le6 29.a5 bxa5 30.Kf1 Tc5 31.Txc5 Dxc5 32.Ta1 d5 33.Txa5 Dc7 34.Ta4 Dxh2 35.Txa7 Dh1+ 36.Kf2 d4
Auch ohne diesen schönen Schlusszug sind die Engines mittlerweile bei -7 angelangt, da die schwarze Dame sich anschickt, die Bauern c2 und d3 abzuräumen. Selbst die mögliche Mattdrohung durch Ta8 ist wegen g5 nur heiße Luft. Das schöne Mattbild nach 37.Lxd4 Dh4+ 38.Ke3 De1+ 39.Kf4 g5 gab Carlsen aber den Rest: 0-1
Somit hatte der Weltmeister mit “null aus zwei” ein echtes Schweizer Gambit auf die Bretter gezaubert. Nach dem ersten Tag hat er sich durch Siege in den drei verbliebenen Partien aber wieder halbwegs aufgerappelt und wir sind gespannt, ob es für ihn noch zu einer Top-Platzierung reicht. Wer mag, kann dies unter dem nachfolgenden Link verfolgen.
https://chess24.com/de/watch/live-tournaments/world-rapid-championship-2018/1/1/1
Ein Kommentar
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Pingback:Siegertypen | Perlen vom Bodensee – das Schachmagazin