Verbandsliga, 8. Runde: SV Reutlingen – SG KK Hohentübingen 4:4
Mit unterschiedlichen Voraussetzungen gingen die Kontrahenten in die Vorschlussrunde: Während die Königskinder im Abstiegskampf jeden Punkt brauchen, ging es für Reutlingen nach dem verpassten Aufstieg um nichts mehr. Es lag die Vermutung nahe, dass man sich in dieser Situation das Geld für die ausländischen Meister sparen würde, aber diese Prognose erwies sich als verfehlt. Als drei Osteuropäer ins Spiellokal einrückten, rutschte den Königskindern zunächst doch ein wenig das Herz in die Hose, aber im Sinne der Chancengleichheit im Abstiegskampf ist es natürlich löblich, dass man die Saison mit voller Kraft zu Ende spielt. Bleibt zu hoffen, dass dies auch in der letzten Runde der Fall sein wird.
Ein anderer Spieler, mit dessen Kommen man durchaus gerechnet hatte, tauchte allerdings nicht auf: Marian Taras, der gegen Jörg Jansen (6) hätte spielen sollen, erschien einfach nicht und verlor somit kampflos. Seine Frau konnte auf telefonische Nachfrage nur angeben, Marian sei „schon losgefahren“ – bloß wohin? Angesichts der leicht errungenen Führung nahm Kai Schumann (7) ein Remisangebot von Andreas Severin an. Laut Computer auch die richtige Entscheidung, da Kais letzter Zug wohl falsch war und eine bessere Stellung in eine schlechtere verwandelte. Matthias Hönsch (1) bekam mit Nikolai Ninov einen leibhaftigen Großmeister vorgesetzt. In der Verbandsliga keine alltägliche Erfahrung, allerdings kennt Matthias vergleichbare Gegner aus früheren Zweitligazeiten und hat sich regelrecht darauf spezialisiert, ihnen halbe Punkte abzuknöpfen. Auch diesmal ging er stocksolide zu Werke und als in fast symmetrischer Stellung der Damenflügel abgeholzt war, hatte der Bulgare keine Gewinnidee mehr und willigte ins Remis ein. Lauritz Jansen (5) setzte sich kurz nach seinen schriftlichen Abiturprüfungen trotz Müdigkeit wieder ins Brett. Vielleicht hätte er es besser lassen sollen, aber hinterher ist man immer schlauer und seine Einsatzbereitschaft ist im Prinzip nicht zu tadeln. Jedenfalls traf es sich schlecht, dass Oliver Maas ihm eine sehr komplizierte Eröffnung servierte, die zwar aus der Mode gekommen ist, aber in den 1980er Jahren von Kasparow und Karpow ausgiebig diskutiert wurde. Lauritz war damals noch nicht auf der Welt, kannte sich dementsprechend nicht aus und fand auch nicht die beste Aufstellung. In bereits ungemütlicher Lage gab es ein abruptes Ende, als das Königskind sich durch ein untypisches taktisches Versehen mattsetzen ließ. Jonathan Reichel (3) bekam es mit dem Serben Nenad Popovic zu tun, der zwar keinen Titel hat, aber immerhin eine DWZ von 2320. Jonathans Entscheidung, früh die Eröffnungstheorie zu verlassen, machte sich bezahlt, denn der Gegner ließ sich zu einer sehr riskanten Spielweise ohne Rochade hinreißen und stand positionell bald sehr verdächtig. Allerdings fehlte bei Jonathan angesichts seiner geringen Spielpraxis ein wenig das Selbstvertrauen, in doch recht undurchsichtiger Lage konsequent auf Sieg zu spielen, so dass er sich auf eine dreifache Stellungswiederholung einließ. Wegen einer formal unsauberen Reklamation (Zug ausgeführt statt aufgeschrieben) gab es zwar noch Diskussionen, aber der Serbe war schließlich mit dem Remis einverstanden. Bernd Staufenberger (8) wurde von Oliver Breitschädel am Damenflügel massiert und jagte auf der anderen Brettseite seine Bauern nach vorne, um Gegenspiel zu bekommen. Dies beeindruckte den Gegner hinreichend, um ihm (in objektiv wohl besserer Stellung) ein Remisangebot zu entlocken, das Bernd dann auch annahm. Damit stand es 3:3 und bis dahin hatten sich die Königskinder wacker geschlagen. In den verbleibenden Partien schienen ihnen allerdings doch mehr und mehr die Felle davonzuschwimmen. Martin Schmidt (2) hatte dem serbischen IM Zoran Novoselski in der Eröffnung mit einem simplen Doppelangriff einen Bauern abgenommen, diesen später aber wieder eingebüßt. In einem objektiv haltbaren, aber etwas unangenehmen Damenendspiel schien sich zunächst die Routine des Gegners durchzusetzen, doch auch er zeigte Schwächen und agierte keineswegs fehlerfrei. Das Ende war allerdings vollkommen überraschend: Urplötzlich lief der IM in ein einzügiges Matt! Ein Geschenk des Himmels für Martin, der eigentlich nur von Dauerschach geträumt hatte – war jetzt vielleicht sogar ein Mannschaftssieg drin? Dafür hätte Michael Schwerteck (4) remisieren müssen, der gegen Thomas Freys zahnlose Weißeröffnung zunächst mindestens Ausgleich hatte, sich dann aber wie üblich völlig unnötige Probleme aufhalste und sich stundenlang mit einer passiven Stellung ohne Gegenspiel herumquälen musste. Lange Zeit gelang dies ganz gut und bis ins Turmendspiel hinein war die Partie an sich haltbar. Es war allerdings ein schmaler Grat und irgendwann war beim „Scheffe“ auch konditionell einfach im Schicht im Schach(t). So war es keine große Überraschung, dass der Reutlinger nach langem Manövrieren schließlich am Damenflügel durchbrach und einen Freibauern zur Umwandlung brachte. Am Ende vielleicht eine leichte Enttäuschung für die Gäste, aber kurz zuvor hätte man das 4:4 noch mit Handkuss angenommen und insgesamt kann man damit auch zufrieden sein.
Das Zittern geht freilich weiter: Auch Nürtingen hat gegen Biberach frecherweise gepunktet und es ist noch nicht klar, ob der siebte Platz, auf dem Hohentübingen derzeit steht, zum Klassenerhalt reicht. Dies wird sich am 6. April herausstellen, wenn 2. Bundesliga und Oberliga ihren letzten Spieltag haben. Im günstigsten Fall reichen eine Woche später gegen Nürtingen drei Brettpunkte, im Worst-Case-Szenario genügt hingegen nicht einmal ein Sieg. Zumindest wird es nicht langweilig…