Die entscheidende Partie um den Bade-Cup 2014/15 zwischen Bernd und mir war schachlich kein großer Höhepunkt, hatte aber doch ihre interessanten Momente, auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Auf dem Höhepunkt der Hitzewelle fühlte ich mich an den Demenz-Film “Honig im Kopf” erinnert: Jeder Versuch eines klaren Gedankens verfing sich in einer Art klebrigem Sirup. An sich gar kein so schlimmes Gefühl (tut ja nicht weh), nur Schach spielen sollte man unter diesen Umständen besser nicht. Welche Art von Gepatze dabei herauskam, mag vielleicht auch den Leser interessieren.
Staufenberger,Bernd – Schwerteck,Michael [B93]
Bade-Cup (8), 03.07.2015
1.e4 c5?! [In Anlehnung an Lankas berühmte 30–Züge-Regel (im Sizi muss Weiß innerhalb von 30 Zügen mattsetzen) würde ich die 30–Grad-Regel formulieren: kein Sizilianisch mit angesengten Synapsen! Auf Caro-Kann war Bernd allerdings gut vorbereitet. Und Königsgambit wäre noch schlimmer gewesen.]
2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 [Najdorf ist meine erfolgreichste Schwarzeröffnung: in 20 Jahren dreimal gespielt und immer gewonnen! Bade-Cup ist Schnellschach, zählt also nicht mit :-)]
6.f4 [So habe ich selber jahrelang gespielt, nachdem John Nunn es in “Beating the Sicilian” empfohlen hatte. Auf GM-Niveau ist der Zug inzwischen völlig in der Versenkung verschwunden. Stattdessen ist plötzlich das filigrane 6.h3 topaktuell, was in meiner Literatur nur kurz unter “Sonstiges” erwähnt wird.]
6…e5 7.Sf3 Sbd7 8.Ld3 [Halbwegs geläufig, verspricht Weiß aber meiner Meinung nach nichts.]
[Meistens wendet Weiß mit 8.a4 ein Tempo auf, um b7–b5 zu verhindern.]
8…b5
[Für meine Begriffe steht Schwarz schon ziemlich bequem.]
9.a4?! [Weiß sollte sich besser entwickeln.]
9…b4 10.Sd5 Lb7 [Einfach 10…Sxd5 11.exd5 Le7 ist natürlich auch völlig in Ordnung.]
11.Sxb4!? [Das bringt immerhin ein wenig Leben ins Spiel, aber objektiv ist es nicht besonders erstrebenswert, den e- gegen den b-Bauern zu tauschen.]
11…Sxe4 [11…d5 ist leider nicht so toll, wie es auf den ersten Blick aussieht. Zumindest mit dem angepeilten Figurengewinn wird es nichts: 12.Sxd5 Lxd5 13.exd5 e4 14.De2 De7? (14…Lc5!? mit Kompensation) 15.d6! De6 16.Sg5+–]
12.De2
[Ein kritischer Moment. Im Prinzip ist die Eröffnung für mich super gelaufen, aber jetzt ist ein bisschen Präzision gefragt. Leider war ich kaum in der Lage, irgendwas zu rechnen.]
12…Sdf6 [Kann man machen, aber irgendwie fühlte ich schon, dass es nicht so ganz im Geiste der Stellung war.]
[Nach dem vermutlich stärksten Zug 12…Sdc5! war mein Problem, dass ich auf 13.Le3 nichts wirklich Überzeugendes fand. Es gibt aber mehrere Fortsetzungen, in denen jeweils Weiß um Ausgleich kämpfen muss. 13…Le7!? (13…Sxd3+ 14.cxd3 Da5! dürfte auch ganz gut sein; 13…Da5 14.c3 Sxd3+ 15.Sxd3 Sxc3! 16.bxc3 Dxc3+ 17.Kf2 e4 mit enormen Verwicklungen) 14.fxe5 0–0 Das gefällt mir gefühlsmäßig am besten: zügige Entwicklung, auch unter Bauernopfer. Mit solchen aktiven Figuren sollte es mindestens genug Kompensation geben (sagt auch Compy).
Mein Zustand wird gut dadurch beschrieben, dass ich 12…d5!? plötzlich wegen des “Geistesblitzes” 13.Sxd5 verwarf, obwohl ich kurz zuvor noch sowohl diesen Zug als auch die Replik 13…Da5+ (mit vermeintlichem Gewinn) gesehen hatte. Das ist ja der positive Aspekt der Demenz: Man entdeckt ständig etwas Neues. Der gewohnt spitzfindige Computer führt die Variante übrigens noch fort: 14.Sd2 Sxd2 15.Sc3! mit Rückgewinn der Figur und eigenartiger Stellung, die aber auch nicht so schlecht für Schwarz sein kann.]
13.c3 exf4?? [Ein ganz blödes Übersehen: Ich habe einfach nicht daran gedacht, dass der Ba6 jetzt tatsächlich angegriffen ist, nachdem Da5 nicht mehr mit Schach kommt.]
[13…Le7 wäre wegen einer taktischen Pointe immer noch okay gewesen: 14.Lxa6 (oder 14.Sxa6 Dc8) 14…Lxa6 15.Sxa6 Dc8! 16.Sb4 (16.Db5+ Sd7 17.Sb4 Sxc3 18.Dc6 (18.bxc3 Dxc3+ 19.Kf2 Dxa1) ) 16…Sxc3!]
14.Lxf4 [14.Lxa6 kam auch hier schon in Betracht. Tricks wie oben funktionieren natürlich nicht, weil der Se4 jetzt gefesselt ist.]
14…d5 [Das war die Idee, aber sie verliert einfach.]
[14…Le7! war Pflicht.]
15.Sxa6 [Das war’s im Prinzip. Was für ein Zusammenbruch! Es geht nicht nur um den Bauern, sondern noch mehr um ein schmerzhaftes Schach auf b5.]
15…Lxa6 [15…Ld6 16.Lb5+ Kf8 war vielleicht ein bisschen zäher, aber ich hatte schon keine Lust mehr.]
16.Lxa6 Lc5 17.Lb5+ Kf8 18.Le3 Lxe3 19.Dxe3 Sg4 20.Dd4 Sef2 [Ein nicht ganz ernst gemeinter Versuch. Lieber ein Ende mit Schrecken…]
21.0–0 [Darf der das? Jaja, ich kenne die Regeln. Immerhin soll Kortschnoj aber in einer vergleichbaren Situation einmal zum Schiedsrichter gegangen sein.]
1–0