Jeder kennt diese Situation: Man hat eine wunderbare Partie gespielt, den Gegner in der Eröffnung überrascht, im Mittelspiel fein ausgespielt und das Endspiel gnadenlos hinuntergezogen. Schach kann doch so einfach sein! Glückselig wird zu Hause der Computer angeschmissen – und auf einmal fällt man in ein Jammertal. Kann das überhaupt sein? Statt einer Partie aus einem Guss sieht es auf einmal so aus, als sei man nur zufälligerweise herumgestolpert, genauso wie der Gegner, und ebenso zufällig hat man das Matt am Ende gefunden…
Nun, ich hätte diese Situation heute tatsächlich mehr genossen – aber tatsächlich war das heute eine Partie, in der wir besser gespielt haben als während der Partie und in der Analyse gedacht.
Auf gehts! So dachte ich mir heute zu den Klängen von Aidas Triumpfmarsch kurz vor der Partie. Es wird mal wieder Zeit für einen Sieg. Und (ebenso wie ich) konnte Frank Amos bisher in seinen Partien nicht wirklich überzeugen.
Schmidt,Martin (2061) – Amos,Frank (2050)
Steigen wir ein nach 12.Sxe5
Dieser Bauerngewinn ist theoretisch wohl eher zweifelhaft, laut Amos. Auch mir war während der Partie nicht klar, ob ich gegen diese Läufer nicht entsetzlich untergehen werden, aber ich wollte es riskieren.
12…g5 13.Sxc6 ein wichtiger Zwischenzug. 13…Te8 14.e5 Und nun gibt es eine Unmenge an möglichen Zügen. Lb7, La6, Se4, gxh4 müssen berechnet werden. Nach letzterem wird die Stellung für Schwarz nicht so günstig (zersplitterte Bauernstruktur), aber die ersten drei sind alle Kandidaten. 14…Se4 15.Lg3 h5 und auf einmal droht Figureneinfang. Der einzige Weg, den Figurenverlust zu verhindern, ist die Mobilmachung des Bauern f2. 16.Sd4 h4 17.f3 Sxg3 18.hxg3 hxg3 19.Sd2Zeit für eine Bilanz, nachdem sich der Pulverdampf der Eröffnung verzogen hat. Weiß hat einen Bauern mehr, da zwei Bauern auf beiden Seiten schwach sind, wird das vermutlich auch so bleiben. Und wir haben den Kampf Läuferpaar gegen Springerpaar.
19…La6 20.Se4 Txe5 21.Tfe1 Kg7 22.Sxg3 f6
23.a4! Ich muss mich mal wieder loben. Der Zug droht im folgenden a5 und stört Schwarz beim Spielaufbau. Viel besser stehe ich dennoch nicht. 23…Tae8 Und jetzt hätte ich auf e5 tauschen müssen. Die zwei schwarzen Türme sind extrem stark. 24.Txe5 Txe5 (24…fxe5 ist wegen 25.a5 keine Gefahr) und Schwarz büßt entweder das Läuferpaar oder noch einen Bauern ein. Klar ist die Sache allerdings trotzdem keineswegs, aber zumindest sollte es in dieser Variante keine Verlustgefahr mehr geben. Ich spielte Kf2 und stand in Ordnung, dann glitt mir die Partie allerdings zusehends aus den Händen. In den kritischen Stellungen konnte dann auch Amos nichts gutes finden und wir kamen in das folgende Endspiel (die gesamte Partie gibt es ja auf http://wem.svw.info/wem_13/13_partien.shtml#mt zum Nachspielen):
Wie steht es hier? Der schwarze Läufer hat keine Bauern zum Angreifen, Schwarz muss also komplett auf den Freibauern setzen. Nach
41.Kf1 f5?! verpasste ich sogar die beste Möglichkeit Sc3, konnte allerdings schlussendlich doch eine Festung aufbauen und im 53.Zug einigten wir uns auf Remis – nur Sekunden, bevor die (danach) letzte laufende Partie Latzke-Gibicar zu Ende ging.
Da ich mir die Partien von Euch beiden (und Andi) bisher immer angeschaut habe, schon mal eine Anmerkung zu Michaels Partie aus der 4. Runde (Keller – Schwerteck).
Die kritische Stellung ist m.E. nach 18.Te1 entstanden. Du hast den Drachen [jawohl, 1.d4, 2.Lf4 -> Drachen 🙂 ] eigentlich optimal behandelt, während Weiß seine Figuren relativ planlos platziert hat, 14.Lf3 und 15.Se2 gefallen mir nicht. Auch ohne meine Blechkiste zu befragen, sehe ich hier eindeutige schwarze Initiative.
Ich vermute, Du hast hier eine ganze Weile überlegt, ob das planmäßige 18… b4 schwarzen Vorteil ergibt, und diesen Zug dann schließlich verworfen. 18… a4 gefällt mir aber nicht, da die Möglichkeit zu b5-b4 verloren geht.
Da Schwarz erkennbar besser steht (man vergleiche die Aufstellung der weißen und der schwarzen Figuren) muss es einen Weg zu schwarzem Vorteil geben. Wenn 18… b4 nichts bringt, scheint mir e7-e5 und d6-d5 eine gute Alternative zu sein. Also evtl. 18… Lc4!? mit der Idee 19… e5, 20… Td8 und 21… d5.
Ich denke auch, dass der 18. Zug ein kritischer Moment war. 18…b4 habe ich allerdings sehr schnell verworfen, weil dann sofort der Turm auf a7 eindringt und ich sogar in Nachteil gerate (Tb7 geht ja nicht). Die Frage war also nur, ob ich mit oder ohne 18…a4 spielen sollte. Hinterher hat es mir auch nicht mehr gefallen und ich habe unmittelbar nach der Partie allen erzählt, es sei ein Fehler gewesen. Soweit ich bisher analysiert habe, war es aber wohl doch in Ordnung, nur muss ich danach zielstrebiger d6-d5 vorbereiten. Das scheint in der Tat die Schlüsselidee zu sein. Also z.B. 19…Td8 20.Sd3 Lb3 nebst 21…e5 und 22…d5. Das ist besser für Schwarz, wie die Blechkiste bestätigt.
> Jeder kennt diese Situation: Man hat eine wunderbare Partie gespielt, den Gegner in der Eröffnung überrascht, im Mittelspiel fein ausgespielt und das Endspiel gnadenlos hinuntergezogen. […] Glückselig wird zu Hause der Computer angeschmissen – und auf einmal fällt man in ein Jammertal.
Da lob ich mir doch die guten alten Zeiten! Es ist gerade einmal drei Jahrzehnte her, dass es die elektronische Spaßbremse noch nicht gab. Vielen Schachcomputern konnte man damals noch eine Figur vorgeben.
Man hat sonntags eine gute Partie gespielt, setzt sich am Abend hin, holt Schachbrett, Figuren, Stift und Papier heraus und analysiert die Partie ausführlich.
So konnte man sich Monate und Jahre über eine (vermeintlich) gute Partie freuen. Die Konsequenz war ein signifikant höheres schachliches Selbstwertgefühl!