WEM in Bisingen (4)

Für mich(ael) gab’s heute ein Remis gegen Joachim Keller. Eine leichte Enttäuschung, nachdem ich ihn zuvor zweimal souverän besiegt hatte, aber das Leben ist kein Wunschkonzert und laut Houdini war die Partie nicht einmal so schlecht, wie ich dachte. Ich werde hier keine vollständige Analyse präsentieren, aber das Eröffnungsgeplänkel war ganz lustig. Vorab folgendes Diagramm, bitte die Eröffnung erraten:

Keller

Aha, meine alte Liebe, der Drachen, oder? Falsch!

Hier wieder meine Anmerkungen im pgn-Format:

[Event “WEM Kandidatenturnier”]
[Site “Bisingen”]
[Date “2013.09.03”]
[Round “4.1”]
[White “Keller, Joachim”]
[Black “Schwerteck, Michael”]
[Result “1/2-1/2”]
[ECO “A48”]
[WhiteElo “1862”]
[BlackElo “2025”]
[Annotator “Schwerteck,Michael”]
[PlyCount “54”]
[EventDate “2013.??.??”]

1. d4 ({Nehmen wir zu Vergleichszwecken den Original-Drachen:} 1. e4 c5 2. Nf3
d6 3. d4 cxd4 4. Nxd4 Nf6 5. Nc3 g6 6. Be2 Bg7 7. O-O Nc6 8. Be3 O-O 9. h3 Nxd4
{(etwas unlogisch, aber egal)} 10. Bxd4 {und die weißen Puppen stehen genauso
wie in der Partie, aber Schwarz hat dort die zwei Mehrtempi Le6 und Da5!}) 1…
Nf6 2. Bf4 {Mit dieser Eröffnung hatte Keller tags zuvor schon gegen einen der
Turnierfavoriten, Roland Mödinger, gewonnen.} g6 3. e3 Bg7 4. Nf3 d6 5. h3 O-O
6. Be2 c5 7. O-O ({Etwas flexibler und üblicher ist} 7. c3 {mit der Idee} Qb6
8. Qb3 {(nicht dass dies besonders gefährlich wäre).}) 7… Qb6 8. Nc3 $5 {Ein
seltener und für mich neuer Zug, aber schnell und selbstbewusst gespielt.
“Mist, der Mann kennt sich aus”, dachte ich. Kann ich jetzt auf b2 schlagen
oder ist das eine Falle?} ({Bekannter ist} 8. Nbd2 {, wonach man tatsächlich
nicht auf b2 nehmen darf.} Be6 (8… Qxb2 $2 9. Nc4 Qb4 10. c3 $1 Qxc3 11. Rc1
Qb4 12. Rb1 Qc3 13. Rb3 $18) 9. Ng5 Bd7 10. Nc4 Qc7 11. c3 h6 12. Nf3 b6 13.
Bd3 Qb7 14. Re1 Bc6 15. Ncd2 Ne4 $11 {0-1 (50) Jussupow,A (2645)-Topalov,V
(2635) Las Palmas 1993}) 8… Nc6 $5 {Letztlich war mir das Schlagen zu heikel,
so dass ich diese passable Neuerung produzierte.} (8… Qxb2 9. Nb5 Na6 {
müsste man noch genauer untersuchen, war aber im Vorteilssinne vielleicht doch
das Beste. Wichtig ist folgender Trick:} 10. a3 Bf5 11. Bd3 Bxd3 12. Qxd3 c4 $1
13. Qxc4 Rfc8 14. Ra2 $1 Rxc4 15. Rxb2 Ne4 $15) ({Yelena Dembo empfiehlt
folgende Abwandlung:} 8… cxd4 9. exd4 Qxb2 10. Nb5 Nc6 {und hier bricht sie
mit dem Kommentar “just good for Black” ab. Dies trifft wohl nicht ganz den
Kern der Sache, denn laut Houdini hat Weiß zumindest ein forciertes Remis
mittels} 11. a3 {nebst Ta1-b1-a1 und Schwarz muss sogar aufpassen, dass er die
Dame nicht verliert (z.B. nach Lc4/Tb1).}) 9. dxc5 {Anspruchslos gespielt;
jetzt steht Schwarz sehr bequem.} ({Meine Berechnungen drehten sich v.a. um} 9.
d5 {, was aber letztlich ganz gut für Schwarz zu sein scheint:} Qxb2 $1 10. Nb5
Nb4 11. a3 Nfxd5 $1 (11… Nxc2 $2 12. Rb1 Qa2 13. Nc3) 12. axb4 Nxf4 13. exf4
Qxa1 14. Qxa1 Bxa1 15. Rxa1 cxb4 16. Nc7 Rb8 17. Rxa7 Bf5 {und diese
eigenartige Stellung sollte etwas besser für Schwarz sein.}) ({Houdini
empfiehlt stattdessen Züge wie} 9. Rb1 {mit angeblich leichtem Vorteil für
Weiß, was aber auch nicht so furchterregend aussieht.}) 9… Qxc5 {Emotional
fühlte ich mich zur Drachenstruktur hingezogen.} ({Gegen} 9… dxc5 {nebst
Besetzung der d-Linie sprach natürlich auch überhaupt nichts.}) 10. e4 $6 {Ein
natürlicher Zug, aber mit einem kleinen taktischen Nachteil.} Be6 $6 (10…
Nxe4 $1 11. Nxe4 Qf5 {habe ich leider überhaupt nicht gesehen.} 12. Nxd6 (12.
Bxd6 Rd8) 12… Qxf4 13. Nxc8 Raxc8 {und hier würde ich Schwarz bevorzugen,
auch wenn Houdini sich mal wieder auf seine Lieblingsbewertung 0.00 versteift.}
) 11. Be3 Qa5 12. Nd4 {Willkommen im Drachen!} Nxd4 13. Bxd4 {Schwarz steht
fraglos sehr bequem. Ich melde mich an dieser Stelle als Kommentator ab, weil
ich den Rest der Partie noch nicht genau untersucht habe. Meine Züge waren
wohl für sich genommen nicht schlecht (meint jedenfalls die Maschine), aber es
fehlte ein klarer Plan und mit zunehmender Spieldauer gingen mir die Zeit und
die Ideen aus.} Rfc8 14. Bf3 Rab8 15. Ne2 b5 16. a3 Qc7 17. c3 a5 18. Re1 a4
19. Nc1 Nd7 20. Bxg7 Kxg7 21. Nd3 Bb3 22. Qd2 Nc5 23. Nb4 f6 24. Bg4 e6 25. f4
Re8 26. Qe3 Rbd8 27. Bf3 Kf7 1/2-1/2

3 Kommentare

  1. Da ich mir die Partien von Euch beiden (und Andi) bisher immer angeschaut habe, schon mal eine Anmerkung zu Michaels Partie aus der 4. Runde (Keller – Schwerteck).

    Die kritische Stellung ist m.E. nach 18.Te1 entstanden. Du hast den Drachen [jawohl, 1.d4, 2.Lf4 -> Drachen 🙂 ] eigentlich optimal behandelt, während Weiß seine Figuren relativ planlos platziert hat, 14.Lf3 und 15.Se2 gefallen mir nicht. Auch ohne meine Blechkiste zu befragen, sehe ich hier eindeutige schwarze Initiative.

    Ich vermute, Du hast hier eine ganze Weile überlegt, ob das planmäßige 18… b4 schwarzen Vorteil ergibt, und diesen Zug dann schließlich verworfen. 18… a4 gefällt mir aber nicht, da die Möglichkeit zu b5-b4 verloren geht.

    Da Schwarz erkennbar besser steht (man vergleiche die Aufstellung der weißen und der schwarzen Figuren) muss es einen Weg zu schwarzem Vorteil geben. Wenn 18… b4 nichts bringt, scheint mir e7-e5 und d6-d5 eine gute Alternative zu sein. Also evtl. 18… Lc4!? mit der Idee 19… e5, 20… Td8 und 21… d5.

  2. Ich denke auch, dass der 18. Zug ein kritischer Moment war. 18…b4 habe ich allerdings sehr schnell verworfen, weil dann sofort der Turm auf a7 eindringt und ich sogar in Nachteil gerate (Tb7 geht ja nicht). Die Frage war also nur, ob ich mit oder ohne 18…a4 spielen sollte. Hinterher hat es mir auch nicht mehr gefallen und ich habe unmittelbar nach der Partie allen erzählt, es sei ein Fehler gewesen. Soweit ich bisher analysiert habe, war es aber wohl doch in Ordnung, nur muss ich danach zielstrebiger d6-d5 vorbereiten. Das scheint in der Tat die Schlüsselidee zu sein. Also z.B. 19…Td8 20.Sd3 Lb3 nebst 21…e5 und 22…d5. Das ist besser für Schwarz, wie die Blechkiste bestätigt.

  3. > Jeder kennt diese Situation: Man hat eine wunderbare Partie gespielt, den Gegner in der Eröffnung überrascht, im Mittelspiel fein ausgespielt und das Endspiel gnadenlos hinuntergezogen. […] Glückselig wird zu Hause der Computer angeschmissen – und auf einmal fällt man in ein Jammertal.

    Da lob ich mir doch die guten alten Zeiten! Es ist gerade einmal drei Jahrzehnte her, dass es die elektronische Spaßbremse noch nicht gab. Vielen Schachcomputern konnte man damals noch eine Figur vorgeben.

    Man hat sonntags eine gute Partie gespielt, setzt sich am Abend hin, holt Schachbrett, Figuren, Stift und Papier heraus und analysiert die Partie ausführlich.

    So konnte man sich Monate und Jahre über eine (vermeintlich) gute Partie freuen. Die Konsequenz war ein signifikant höheres schachliches Selbstwertgefühl!

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