Gegen eine Frau spielen – es gibt Schachfreunde, die schüttelt es alleine bei diesem Gedanken. Nicht nur sei das Schachspiel eine Domäne der Männer, bei der es ruhig zugehen sollte, ohne weibliches Gekicher, besonders schlimm sei es ja gegen junge Frauen zu spielen! Und dann noch im Sommer! Die beugen sich dann immer extra nach vorne und auf einmal kann ich nicht mehr klar denken!
Besonders amüsant wird dies beschrieben in dem Buch Ticken Schachspieler anders der ehemaligen deutschen Nationalspielerin Vera Jürgens, in dem u.a. der (fiktive?) Erlebnisbericht eines Schachspielers niedergeschrieben ist, dem dieses Schicksal wiederfahren ist.
Ich selber hatte noch nie Probleme von der Art. Ich bin gerade einmal meine Datenbank durchgegangen – von 360 Partien habe ich sieben gegen Frauen gespielt und ein Ergebnis von -1 geholt – bei dem DWZ-Schnitt meiner Gegnerinnen mehr oder weniger das erwartete Ergebnis. Gleich zwei dieser Partien wurden in den letzten drei Runden des letzjährigen Neckar-Opens gespielt, eine Verlust- und eine Gewinnpartie. Und da auch beide recht interessant waren, möchte ich beide einmal hier präsentieren.
Update (7.4.2013): Die Partie Schmidt-Kühnel ist nun ebenfalls online!
Schmidt,Martin (2054) – Bochis,Julia (2142)
1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sc6 5. Sc3 Dc7 6. Le3 a6 7. Ld3 Sf6 8.
O-O Se5 9. Dd2 Seg4 10. Lf4 d6 Nach einem wieder einmal mittelmäßig verlaufenen Paulsen für mich hat Schwarz gerade eben die Drohung …e5 aufgestellt. In der Partie zog ich den Läufer nach g3 zurück, in der Analyse hatte ich jedoch das Gefühl, dass h3 besser ist.
Nach 11. h3 muss Schwarz 11….Se5 ziehen. Nach 12.Lg3 ist die Partie wieder ausgeglichen. Der Versuch, einen Gegenangriff zu starten, geht dagegen daneben:
11… e5 12. hxg4 Drei weiße Steine kann Schwarz nun schlagen.
Das Schlagen auf f4 führt zur Katastrophe:
I)12… exf4? 13. g5 Danach zieht der weiße Springer auf d5 und Weiß steht praktisch auf Gewinn.
II) 12… exd4 Ist dagegen möglich. Ja, der
kann auch geschlagen werden. Houdini sieht so etwas. Ich nicht. 13. Nd5 Nxd5 14. exd5 Und obwohl hier Schwarz mit 14…Lxg4 einen Bauern gewinnen kann, steht Weiß klar besser. 15.Db4 gewinnt den Bauern auch direkt zurück und danach sind die weißen Figuren den Schwarzen einfach insgesamt überlegen.
III) 12…Lxg4 ist wohl das beste 13. Be3
(13. Ndb5 war meine wilde Idee 13…axb5 14. Bxb5+ Bd7 +/= Und diese Stellung gefiel
mir eigentlich ganz gut für Weiß. Der Läufer kann jetzt wohl auf alle
möglichen Felder ziehen, auch das vorherige Schlagen auf d7 kommt in Frage. Die Einschätzung ist auch nicht falsch, aber der einfache Rückzug des Läufers ist schlicht stärker.)
13… exd4 14. Bxd4 +/- Mit diesem Läuferpaar und dem extrem schwachen Bauern auf d6 steht Weiß einfach besser.
Zurück zu der Partie.
11. Lg3
Ist für Houdini nicht nur kein Problem, sondern sogar der beste Zug. Oder zumindest gleichauf mit h3.
11… Le7 12. h3 Se5 13. f4
Das war die Idee bei dem Läuferrückzug, aber so richtig
beeindruckt ist Schwarz davon nicht…
13… Sc4 14. Lxc4 Dxc4 15. Kh1?!
Zu langsam, zu ängstlich
15. e5 Weiß greift an. Getreu der Regel von Lanka muss Weiß Schwarz im Sizilianer ja innerhalb von 30 Zügen mattsetzen oder er verliert. Hier ist Weiß kurzfristig noch besser entwickelt und möchte dies nutzen, um Schwarz zurückzutreiben.
15…Sd7 ist ein ziemlicher Reinfall. Anstatt meiner zögerlichen Idee Kh2 spielt Weiß nämlich einfach 16.exd6, wonach Schwarz den Läufer wegziehen muss, da 16…Lxd6 17.Sxe6 fxe6 18.Dxd6 Dc5+ 19.Dxc5 Sxc5 zu einer entsetzlichen Stellung führt.
Auch
15…Sh5 ist – wohl nicht besonders überraschend – nicht besonders gut. 16.Lf2 führt einfach dazu, dass Schwarz nun Sorgen um seinen Springer haben muss. Der Houdini-Vorschlag 16…dxe6 17.fxe5 f6 18.exf6 Sxf6+= kann mich nicht besonders überzeugen. Besonders die offenen Linien für die weißen Türme sehen gut aus. Andererseits kann Schwarz in dieser offenen Stellung vielleicht auch sein Läuferpaar gut zur Geltung bringen.
15… dxe5 ist wohl die beste Erwiderung. 16.fxe5 Sd7 sieht recht ausgeglichen aus. Weiß hat die besseren Figuren, Schwarz hat die bessere Struktur – und wie üblich setzt sich der bessere Spieler – oder, wie hier, die bessere Spielerin – durch.
15… b5 16. a3
Auch hier wäre 16. e5 besser gewesen, wenn auch durch den Tempoverlust nicht mehr so gut wie gerade eben. 16… Lb7 17. Tae1?
Im Nachhinein wollte ich hier, ganz menschlich, dann halt mit dem anderen Turm decken und gab 17.Tfe1 in den Computer ein. Gefiel ihm auch nicht so recht. Stattdessen schlägt Houdini folgendes vor:
17. Lh4 Sxe4 nicht erzwungen, aber die Alternativen geben auch keinen Vorteil 18. Sxe4 Lxe4 19.
Lxe7 Kxe7
Und wie geht es jetzt weiter?
20. f5 Ein wenig Königsangriff… 20…e5 21. Tfe1 d5 22. f6+ gxf6
Und nun? Jetzt greift Houdini in die taktische Trickkiste:
23. Txe4! dxe4 24. Sf5+ Ke6 25. Sg7+
Weiter im Text. Dort kann Schwarz nun einen Bauern gewinnen und zwar wegen:
17… Sxe4!
Dumme, taktische Tricks!
18. Sxe4 Lxe4
Und der Turm kann nicht schlagen, da ansonsten der andere Turm auf f1 hängen würde.
19.Tf2
Auch den hätte man sich
eigentlich sparen können. Aber irgendwie ist das so psychologisch – ich möchte
auf e4 schlagen, also bereite ich das vor. Natürlich lässt der Zug Schwarz nur
Zeit zur Befestigung seiner Stellung. Stattdessen kam beispielsweise 19. f5 in Betracht. Das unterbindet Schwarz nun erst einmal:
19… f5 20.Tfe2 O-O 21. b3 Dd5 22. Sxf5
Immerhin mal kein schlechter Zug von Weiß. Taktisch wird die Bauernwand aufgebrochen.
22…Txf5 23. De3 Lxg2+ 24. Txg2 Kf7
24… Tf6 wäre irgendwie die… natürlichere Deckung gewesen.
25. Kh2 Th5 Und es wird mal wieder Zeit für ein Diagramm:
Weiß macht lustig weiter mit dem Aufbrechen der gegnerischen Stellung:
26. f5
Der Bauer kann nicht genommen werden. Weder von dem Bauern (simpel), noch von der Dame (auch simpel, Tf2 fesselt und gewinnt sie) noch von dem Turm (da Td2 die Dame vertreibt und dann e6 fällt. Einzige Möglichkeit also:
26…e5 27. c4! bxc4 28. bxc4 Db7
Nach 28… Dxc4?? gewinnt Df3 einen Turm.
29. c5 Rxf5 30. cxd6 Bxd6 31. Qd3 Rf6
Durch den unsicheren schwarzen König und den schwachen Bauern auf e5 hat Weiß wieder Ausgleich – den habe ich aber wieder direkt vergeben, da ich jetzt den falschen Bauern genommen habe:
32. Dc4+
32. Qxh7 wäre der richtige Zug. Der schwarze König hat jetzt gar kein sicheres Plätzchen mehr und der Bauer auf e5 ist immernoch schwach.
32…Kf8 33. Lxe5 Lxe5+ 34. Txe5 Tc8 35. Tc5
Der Abtausch des Turmpaares war keine gute Idee. Eigentlich ist es Standardwissen, dass ein Turmpaar auf dem Brett die Remischancen erhöht – aber es gibt von jeder Regel Ausnahmen. Diese Stellung ist keine – 35.Db4+ mit Damenabtausch wäre der richtige Zug.
35…Txc5 36. Dxc5+ Kg8 37. De5 Tf8 38. De6+ Kh8 39. Dd6 Db8 40. Td2 h6 41. Dxb8
Txb8
42. Td6?
Danach ist Weiß wahrscheinlich verloren. Meine Idee war, mir einen Freibauern zu sichern. Brilliant – bringt nur leider nichts, da der schwarze Turm König und Bauern dominieren wird.
42. Rd3! hält die Stellung höchstwahrscheinlich in Remisbreite – so gerade. Das müssten aber Endspielexperten genauer sagen können.
Den Rest meiner gemachten Analysen sparen ich mir. Ab hier war Weiß verloren und meine Gegnerin hat es auch ohne Wackler heruntergespielt, wobei ich ihr es auch nicht schwer gemacht habe.
42… Tb2+ 43. Kg1 Tb3 44. Txa6 Txh3 45. a4 45.Ta3 46. Kg2 Kh7 47. Kh2 h5 48. Kg2 g6 49. Kh2 Kh6 50. Ta5 h4 51. Kg2 g5 52. Ta8 Kh5 0-1
Die Niederlage hatte ich mir selber zuzuschreiben. Es gab ein, zwei Chancen, die Partie in der Schwebe zu halten, die ich allerdings nicht genutzt habe. Trotzdem war ich nicht extrem unzufrieden – immerhin war Bochis stärker als ich und im Mittelspiel habe ich nicht schlecht gespielt.
Nach einer chancenlose Niederlage in der achten Runde traf ich in der neunten Runde auf die ebenfalls noch junge (17 Jahre alte) Lena Kühnel. Es wurde eines der verrücktesten Spiele, die ich je hatte – und ich hoffe, nach meiner Reise in den Süden der USA auch diese Partie hier zu präsentieren. Die Partie im PGN-Format gibt es auf der letzten Seite.