Bei der diesjährigen Württembergischen Einzelmeisterschaft waren wir im Kandidatenturnier mit zwei Teilnehmern vertreten: Marius Hurm, der durch seinen 6. Platz im letzten Jahr erneut teilnehmen durfte, sowei Malte Michael, der durch seinen Bezirksmeistertitel auch startberechtigt war. Das Teilnehmerfeld war sehr eng beisammen, praktisch alle Spieler lagen zwischen 1850 und 2100 ELO. Dennoch waren die Ziele vor Turnierstart relativ klar: Malte wollte als 15. der Setzliste unter die Top 12 kommen, was die Qualifikation für nächstes Jahr bedeutet. Marius wollte als Nummer 6 der ELO-Setzliste, aber Nummer 2 der (aussagekräftigeren) DWZ-Rangliste einen der zwei Plätze für das nächste Meisterturnier ergattern.
Runde 1:
Malte verlor relativ schnell in einer Eröffnung, die er nicht gut genug kannte. Das war der nötige Denkzettel: Ohne konkrete Variantenkenntnis sollte man sehr scharfe Theorie vermeiden.
Marius kam dagegen mit schwarz gut aus der Eröffnung, was aber nur eine angenehme Stellung mit Druck auf den Gegner bedeutete. Nachdem sich sein Gegner stark verteidigte, wurde im 40. Zug Remis vereinbart
Runde 2:
Nach kontrollierter Partieführung konnte Malte seine Partie mittels eines Springeropfers für sich entscheiden. Nach eigener Aussage war dies die bis dahin beste Partie seiner Laufbahn.
Marius stand lange ausgeglichen, konnte aber in ein Endspiel mit Turm + ungleichfarbige Läufer mit mikroskopisch kleinen Vorteil abwickeln und dieses nach mehr als 60 Zügen tatsächlich noch gewinnen.
Runde 3:
Malte’s Vorbereitung passte, aber er ließ mehrmals den thematischen Bauernvorstoß e5 im Zentrum aus und stellte die Partie später taktisch ein. Ärgerlich, weil er die Stellung eigentlich komplett unter Kontrolle hatte.
Bei Marius stand eine scharfe Stellung mit entgegengesetzten Rochaden auf dem Brett. Er bekam ein Bauernopfer vorgesetzt, das nach der Annahme aber sogar seine eigenen Figuren aktivierte und wenig später der Sieg perfekt war.
Runde 4:
Im Duell der DWZ-mäßigen Nummern 1 und 2 der Setzliste kam Marius sehr gut aus der Eröffnung und hatte eine Stellung, die man eigentlich nur aus zwei Ergebnisse spielen kann (Sieg oder Remis). Doch er wickelte etwas ungeduldig in eine Stellung ab, die doch wieder gefährlich wurde, ehe ein “simpler” Einsteller (okay, mit wenig Zeit nicht einfach zu sehen) die Partie dann sogar noch komplett einstellte.
Malte’s Gegner wählte in Zug 12 eine Nebenvariante, was Malte aus der Theorie brachte. Nach einem Patzer landete er dann in einem deutlich schlechteren im Endspiel. In beiderseitiger Zeitnot kippte die Partie – am Ende lief sein Gegner in ein Mattnetz und Malte bekam seinen ersten Sieg gegen einen 2000er. Glücklich, aber wichtig.
Runde 5:
Bei Malte stand fast die selbe Eröffnung wie in Runde 3 auf dem Brett, diesmal wusste er, was zu tun war. Er spielte phasenweise sehr riskant auf Sieg; am Ende mündete alles jedoch folgerichtig in einem remisigen Endspiel.
Marius spielte mit Schwarz sehr saubere Partie. Erst problemlos ausgeglichen, dann leicht Druck erhöht, eine leicht bessere Stellung, dann Abwicklung in ein besseres Endspiel. Im 40. Zug hatter die kritische Variante genauer berechnet und die Stellung war einfach gewonnen.
Runde 6:
Gegen das von seinem Gegner bevorzugte Vincent Keymer-System (1. Sf3 2. e3 3. c4) war Malte eigentlich gut vorbereitet, doch zwischendurch unterliefen ihm ein paar Ungenauigkeiten. In objektiv sehr schlechter Stellung bot er Remis – und bekam den halben Punkt geschenkt, weil der Gegner Malte’s Gegenspiel maßlos überschätzte.
Marius lief genau in die Vorbereitung seines Gegners. Er schaffte es noch, sich in ein schlechteres Endspiel zu retten, das bei bestem Spiel wohl Remis gewesen wäre. Er übersah jedoch von weitem ein Mattnetz, das in Kombination mit dem Gegnerischen Freibauern nicht zu verteidigen war.
Runde 7:
Malte landete erneut in einer scharfen Stellung ohne ausreichendes Eröffnungswissen. Er hatte noch eine Chance, verpasste sie aber und verlor gegen einen sehr starken Gegner.
Marius kam dieses mal besser aus der Eröffnung, hatte angenehmen, lang anhaltenden Druck auf seinen Gegner. Da sein Gegner sich gut verteidigte, sprang aber wieder nur ein Remis heraus.
Runde 8:
Da mittlerweile ein Spieler aus dem Turnier ausgestiegen war, gab es ein Freilos, was Malte einen kampflosen Sieg einbrachte.
Bei Marius wiederholten sich die Ereignisse. Er kam gut aus der Eröffnung, hatte leichten Vorteil, sein Gegner verteidigte sich jedoch sehr gut, sodass am Ende die Partie wieder langsam zum Remis abflachte. Frustrierend, das dritte mal in diesem Turnier!
Runde 9:
Für Malte ging es mit 4/8 noch um einen Quali-Platz für nächstes Jahr. Dafür musste aber ein Sieg her. Und alles lief nach Plan: Gute Vorbereitung, gutes Gefühl. Er kam ordentlich aus der Anfangsphase, übernahm die Kontrolle und fand kurz vor Schluss die direkteste Gewinnabwicklung.
Marius konnte mit 4.5/8 noch einen der Preisgeld-Ränge erreichen, dafür musste aber unbedingt ein Sieg her. Nach erneut gut gelaufener Eröffnung flachte die Partie lansgam wieder ab, bis Marius ein interessantes Bauernopfer auspackte. Nach der Annahme des Opfers hatte Marius aktive Figuren und der gegnerische König stand völlig blank, so dass die Partie schnell entschieden war.
Fazit:
Für Malte tat der Auftakt weh, aber genau daraus entstand eine saubere Reaktion. Disziplinierte Partieanlage, Mut im richtigen Moment und taktisch eine wirkliche Steigerung – so wurde aus einem Fehlstart ein lehrreiches Turnier, bei dem er darüber hinaus noch 30 DWZ gewann und jetzt bei seinem Allzeithoch von 1924 steht.
Marius verpasste die ersten beiden Plätze letzendlich deutlich, holte aber immerhin noch den letzten Hauptpreis. Dabei war er eigentlich bis auf wenige Ausnahmen gar nicht einmal unzufrieden mit seinem Spiel. In allen drei Remispartien hatte er komplett die Kontrolle, leider verteidigten die Gegner sich stark. Diese 1.5 Punkte fehlten am Ende.
Das Turnier gewann am Ende etwas überraschend Tim Gavrin als Nummer 16 der Setzliste (Marius’ Erstrundengegner) sehr verdient. Er blieb als einziger Spieler ohne Niederlage. Platz zwei ging an Richard Walter, der in den letzten vier Runden nur ein Remis abgab.
