Theresa und Nils bei der Deutschen Meisterschaft

24.-30. Mai 2015: Deutsche Jugendeinzelmeisterschaft in Willingen

Zwischenbericht aus Willingen

Hier beginnt gerade die 6. Runde, damit ist gut die Hälfte der Veranstaltung absolviert. Ein günstiger Zeitpunkt für einen kleinen Zwischenbericht. Organisation und Spielbedingungen sind gut, da gibt es bis auf Kleinigkeiten nichts zu meckern. Zum Kiebitzen ist es natürlich auch interessant, da die hoffnungsvollsten Jungtalente Deutschlands (mit Ausnahme der „Prinzen“) zusammenkommen. Es fast schon deprimierend: Überall wuseln Kinder herum, die sind halb so groß wie ich, haben aber doppelt so viel DWZ. Wie machen die das bloß?

Wie dem auch sei – was machen denn unsere Königskinder?

Bei Theresa stimmt jedenfalls mit 3,5/5 die Punktausbeute, auch wenn mir ihre Partien große Rätsel aufgeben. Beeindruckend ist einerseits ihre Zähigkeit in schlechteren Stellungen, so dass sie aktuell noch ungeschlagen ist. In der 4. Runde konnte sie sogar trotz verkorkster Eröffnung eine nominell stärkere Gegnerin noch Schritt für Schritt überspielen. Andererseits will man an der Seitenlinie schier verzweifeln, wenn sie in klaren Gewinnstellungen ein ums andre Mal den Sack nicht zumacht, wie z.B. in der 5. Runde am Spitzenbrett, als sie nach der Eröffnung einfach einen Turm mehr hatte. Mal abwarten, was die Wundertüte noch hervorbringt…

Nils hat es in der Königsklasse natürlich mit großen Kalibern zu tun, was für ihn eine neue und wertvolle Erfahrung ist. Er spielt gewohnt zäh und hat meist lange Partien, schafft es aber nicht immer, die Konzentration bis zum Ende beizubehalten und den Lohn der Arbeit einzufahren. Gestern (Doppelrunde!) war er z.B. zum Schluss so müde, dass er im Endspiel einen einfachen Gewinn verpasste. Mit aktuell 1,5/5 ist er nicht ganz zufrieden, aber natürlich gibt es noch genug Chancen, die Bilanz auszubauen. Also weiter Daumen drücken!

Theresa Peters ist erfolgreichste Württembergerin!

Einen schönen Erfolg feierte Theresa Peters (U16w), die als Nr. 12 der Setzliste zwar knapp den Bronzerang verpasste, aber natürlich auch mit dem 4. Platz (5,5/9) sehr zufrieden war. Damit war sie die erfolgreichste Teilnehmerin aus Württemberg. Nur gegen die Deutsche Meisterin Fiona Sieber musste sie eine Niederlage einstecken. Für viel Erheiterung vor Ort sorgte ihr Sieg aus der 8. Runde, als sie ihre Gegnerin in nur sechs Zügen matt setzte.

Solche Geschenke gab es in der männlichen U18 natürlich nicht, sondern Nils Müller musste sich alles hart erarbeiten. Am Ende war er mit 3/9 und Platz 26 nicht ganz zufrieden, aber es war eben auch ein sehr anspruchsvolles Turnier. Der Hauptzweck der Teilnahme wurde ohnehin erreicht, denn es wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt, aus denen man viele Erkenntnisse für das weitere Training ziehen kann.

Abschlussbericht

Nachdem Theresa letztes Jahr noch offiziell für Hechingen startete, hatten wir diesmal mit ihr und Nils zwei „echte“ Qualifikanten bei der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft. Ich durfte die beiden begleiten und war gespannt, was mich erwarten würde. Nach einigen Jahren „Untreue“ fand das Turnier diesmal wieder (wie früher schon etliche Male) in Willingen statt, also am nordwestlichen Rand von Hessen. Geographisch liegt diese Kleinstadt schön zentral in Deutschland, die Verkehrsanbindung ist allerdings weniger günstig. Auf der Rückfahrt mussten wir z.B. 50 Minuten in einer völlig heruntergekommenen Umsteigestation namens Brilon Wald verbringen. Klingt provinziell, ist aber schlimmer. Das Hauptargument für den Austragungsort ist wohl das riesige Hotel (über 500 Zimmer!), das in der Tat für so ein Mammutturnier gut geeignet ist. Überhaupt war ich von Organisation und Spielbedingungen beeindruckt. Von der Eröffnungsfeier bis zur Siegerehrung stimmte einfach so gut wie alles: Umfangreiche Berichterstattung im Internet, Live-Kommentar mit GM-Beteiligung (Jussupow, Gustafsson, Huschenbeth), tägliche Meisterschaftszeitung und und und… Großen Respekt an die zahllosen ehrenamtlichen Helfer, die mit viel Begeisterung und Engagement alles taten, um den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen!

Auch vom Schachlichen her habe ich die Zeit genossen. Immerhin kamen die größten Jungtalente aus ganz Deutschland zusammen und ich würde wetten, dass so mancher zukünftige Großmeister darunter war. Auch in den jüngeren Altersklassen waren etliche starke und spannende Partien zu sehen. Am meisten Aufmerksamkeit erntete der 10-jährige Wunderknabe Vincent Keymer, der schon weit über 2200 DWZ hat und letztes Jahr die U10 mit „fischeresken“ 11/11 gewann. Diesmal suchte er größere Herausforderungen und spielte in der U16, wo er immerhin Vizemeister wurde. Die Presse sieht in dem sehr frühreifen Jungen schon den kommenden Superstar, der die 3000 Elo sprengt und Magnus Carlsen auf den Mond kickt. Also kein Druck oder so. Warten wir’s ab. Man muss auch einräumen, dass seine Siege in Willingen zum Teil sehr schmeichelhaft waren – vielleicht waren seine Gegner psychologisch gehemmt. Die lustigste Partie der ganzen Veranstaltung spielte jedenfalls der nominell stärkste Spieler im Saal, IM Hagen Poetsch, im offenen U25-Turnier:

Hagen Poetsch (2473) – Fin Niklas Tiedemann (1798)

ODJM A Willingen, 1. Runde (Brett 1)

1. a4!? e5 2. a5!? d5 3. g3 c5 4. Lg2 Sc6 5. c4 Sge7 6. a6 b6 7. cxd5 Sxd5 8. Da4 Dd6 9. Sc3 Le6 10. Sf3 f6 11. Sh4 g6 12. Se4 1-0

Was das Schicksal unserer Königskinder betrifft, kann ich am meisten zu Nils (U18) sagen, weil ich an der Vorbereitung dichter dran war (Theresa folgte in der Regel Spezialvarianten ihres Verbandstrainers Philipp Müller). Die WSJ hatte ihm Henryk Dobosz zugeteilt, einen älteren IM polnischen Ursprungs. Sicher ein guter und erfahrener Spieler, aber für Nils vielleicht doch nicht die Idealbesetzung. Ein Problem war, dass Dobosz sich kaum mit Sizilianisch auskennt, aber genau das kam bei Nils ständig aufs Brett. Etwas lästig war auch, dass er sich immer wieder in Stellungen verzettelte, die garantiert nicht aufs Brett kommen würden. Unmittelbar hat die Arbeit mit ihm daher wohl nicht viel gebracht, aber er gab immerhin auch ein paar nützliche Tipps allgemeiner Natur.

Ohnehin war die Eröffnungsvorbereitung oft gar nicht so einfach, denn die Computer-Kids von heute sind sehr bewandert und vor allem flexibel. Es ist z.B. keine Seltenheit, mit Schwarz gegen 1.e4 drei oder vier ganz verschiedene Systeme zu beherrschen. Unsereiner ist ja schon froh, wenn ein einziges halbwegs sitzt… Natürlich ist die Eröffnung aber nur ein kleiner, nicht unbedingt entscheidender Teil der Partie und es gab genügend andere Sorgen. Als Nr. 24 der Setzliste (von 28) war klar, dass Nils zu kämpfen haben würde, zumal er erst in letzter Zeit einen größeren Sprung gemacht hat und über wenig Erfahrung auf diesem hohen Level verfügt. Viele andere Spieler sind hingegen Stammgäste bei dieser Veranstaltung.

Genau der Punkt Erfahrung war m.E. auch das Hauptproblem, wenn ich das Turnier jetzt Revue passieren lasse. Von den spielerischen Grundfertigkeiten her war Nils gar nicht so weit weg vom Durchschnitt, aber es gab öfters Probleme, komplizierte Mittelspielstellungen (Nils spielte stets scharfe Hauptvarianten!) zuverlässig zu bewerten. Dabei spielte sicher auch der große Respekt vor den Gegnern eine Rolle, der sich in einer oftmals zu pessimistischen Stellungseinschätzung niederschlug. Häufig sah Nils Probleme, wo keine waren, oder er verpasste Gewinnchancen, weil er nicht an ihr Vorhandensein glaubte! Das sind aber alles Dinge, die sich mit mehr Spielpraxis gegen starke Gegner auf jeden Fall verbessern werden. Insgesamt habe ich viele gute Ansätze gesehen und bin mit 3/9 keineswegs unzufrieden. Zumal ich mir überhaupt nicht sicher bin, ob ich in diesem Feld mehr Punkte geholt hätte!

Die Partie aus der ersten Runde (mit Weiß gegen Jakob Pfreundt) charakterisiert die genannten Probleme ganz gut:


Gegen den klaren Favoriten (knapp 2200 DWZ) hatte Nils eine schwierige Stellung eigentlich sehr zäh verteidigt. Trotzdem glaubte er hier, die Partie sowieso schon verpatzt zu haben, schaute gar nicht mehr richtig hin und zog schnell 49.Kg2? Td1-+ mit Figurenverlust und 0-1 nach ein paar weiteren Zügen. Dabei war noch alles goldrichtig und nach 49.Tf1 das Remis zum Greifen nahe: Schwarz gewinnt hier zwar ebenfalls eine Figur, aber nach 49…Txf1+ 50.Kxf1 Dd3+ 51.Kg2 Dxd4 52.Dxg5 ist das Endspiel nicht zu gewinnen. Schade!

Am Nachmittag folgte ein typischer Eröffnungsreinfall, als der eingefleischte 1.e4-Spieler Max Hess uns mit 1.d4 und einer giftigen Nebenvariante gegen Königsindisch überraschte. Nils kannte sich nicht aus und reagierte nicht optimal, geriet aber auch hier etwas früh in Panik, als die Stellung noch gar nicht allzu schlimm war.

Tags darauf gelang der erhoffte Sieg gegen den Saarländer Marlon Schäfer. Insgesamt verdient, auch wenn Nils zwischenzeitlich durch eine Unachtsamkeit fast den gesamten Vorteil wegwarf:

Müller,Nils (1955) – Schäfer,Marlon (1669) [C74]

DEM U18 (3.13), 25.05.2015

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 d6 5.c3 f5 6.exf5 Lxf5 7.0–0 Ld3 8.Te1 Immerhin hatten wir diesmal die Eröffnung antizipiert. Sge7? Das allerdings nicht mehr, denn das Manöver ist umständlich und schwach. Alle guten Spieler setzen mit 8…Le7 nebst 9…Sf6 fort. Die Reihenfolge ist wichtig wegen 8…Sf6? 9.Sd4! 9.Lc2 Lxc2 10.Dxc2 Sg6 11.d4 Le7 12.Db3! Sehr unangenehm. Weiß steht schon klar besser. Tb8 13.Sa3 exd4 14.cxd4 Direkt 14.Sg5! war wohl noch kräftiger. d5 15.Sg5 Sxd4 16.Da4+ Sb5 (zäher war 16…Sc6) 17.Sxb5 (17.Se6! Dd7 18.Sxb5 axb5 19.Dd4!) axb5 18.Dxb5+ Dd7


19.Se6! (eine wichtige und elegante Feinheit) c6 20.Dd3 Tg8?! (20…Kf7 21.Df5+ Kg8 22.Sxg7! war noch das kleinere Übel) 21.Dg3 Hier führen schon verschiedene Wege zum Sieg (21.Lg5 usw.). An Nils’ Spielweise ist zunächst nichts verkehrt. Tc8 22.Dh3 Sf8 23.Lg5 Kf7 24.Df5+? Das ist allerdings eine Fehlkalkulation. 24.Lxe7 Sxe6 ist auch nicht ganz klar, aber zuerst 24.Dh5+! gewinnt glatt: g6 (24…Sg6 25.Lxe7+-) 25.Df3+ (jetzt geht Lf6 nicht mehr) Ke8 26.Sc5+- Lf6 25.Lxf6 (25.Sxg7!) gxf6 26.Dh5+ Tg6 27.Sc5 Anders als ursprünglich gedacht gewinnt 27.Sf4 jetzt nicht wegen Dg4!


27…Dg4? Kämpfen konnte Schwarz noch mit 27…Dd6! mit der Idee 28.Sxb7? Db4. 28.Dxg4 Txg4 29.Sxb7 Gewinnt einfach einen Bauern. Tb8 30.Sd6+ Kg6 31.b3 Tg5? (beschleunigt den Untergang) 32.f4 Tg4 33.g3 h5 34.Te7 h4 35.Kf2 Sh7 36.Kf3 f5 37.Tae1 Ta8 38.T1e6+ Sf6 39.Tf7 1–0

In Runde 4 gegen Nicolas Niegsch wieder das übliche Problem: Nils glaubte nach der Eröffnung schlecht zu stehen, obwohl die Stellung für meine Begriffe ziemlich normal aussah. Durch die Maßnahmen zur Gegensteuerung entstanden dann erst die wirklichen Probleme, wonach die Partie relativ glatt (auch wenn der Gegner ein paar schnellere Gewinnwege ausließ) verloren ging.

Die fünfte Partie war aus meiner Sicht die spannendste von allen. Ich gebe sie daher komplett wieder, auch wenn ich meine Anmerkungen auf die kritischsten Momente beschränke:

Müller,Nils (1955) – Siegert,Gregor (1933) [B82]

DEM U18 (5.14), 26.05.2015

1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 a6 5.Sc3 Dc7 6.Ld3 Sf6 7.f4 d6 8.Df3 b5 9.a3 Lb7 10.Ld2 Sbd7 11.g4 Sc5 12.g5 Sfd7 13.b4 Sxd3+ 14.cxd3 g6 15.Tc1 Dd8 16.0–0 Lg7 17.Sb3 Tc8 18.Df2 h6 19.d4 Txc3! 20.Txc3 Lxe4 Schwarz hat schöne Kompensation und steht sogar eher besser. 21.Tfc1 Sb6 22.Sa5 Ld5 23.Le3 Sc4 24.Sxc4 Lxc4 25.a4 hxg5 26.fxg5 Da8?! 27.Dg2 Dd8? Dieses Manöver ist allerdings völlig verfehlt… 28.Dc6+ Kf8? …und das sollte glatt verlieren. 29.axb5 axb5


30.Txc4? Sieht in Verbindung mit dem nächsten Zug aus wie der Gewinner, aber leider hat Schwarz noch eine Verteidigung. Tatsächlich gewonnen hätte 30.Ta1 Ld5 31.Dc8! mit der Pointe, dass Dxc8 32.Txc8+ Ke7 33.Ta7+ zum Matt führt. bxc4 31.Ta1 Lxd4! 32.Lxd4 Dxg5+ 33.Dg2 Dxg2+ 34.Kxg2 Th5 35.Ta5 e5 36.Le3 Ke7 37.b5 Kd7? Das Endspiel ist sehr unklar, aber hier versäumt Schwarz 37…Th8 und gerät wieder in Nachteil. 38.Ta7+ Kc8 39.Txf7 d5 40.La7 Tg5+ 41.Kh1 Tf5 42.Tg7 Tf1+ 43.Kg2 Tb1 44.b6 Tb3 45.Tc7+ Kd8 46.Tc5 d4 47.Txe5? (47.Txc4!+-) d3 48.Td5+ Ke7 49.Kf2


49…Ke6? Ein merkwürdiger Zug (49…c3=), allerdings waren die Spieler inzwischen sehr müde (Doppelrunde!). 50.Td4? Nils war froh übers Remis, dabei lag hier der wohl einfachste Gewinnweg der Partie: 50.Tc5 c3 51.Txc3 Txc3 52.b7+- c3 51.Txd3 c2 52.Txb3 c1D 53.b7 ½–½

Es folgte ein weiteres Remis gegen Marvin Engert, wobei Nils am Ende durchaus noch hätte weiterspielen können. Dann ging mit Weiß gegen Jasper Holtel ein zweischneidiger Sizilianer in die Hose, wonach Nils doch erst einmal ein bisschen am Boden war. Trotzdem ließ sein Kampfgeist nicht nach und er schloss das Turnier mit zwei Remisen gegen nominell Stärkere (Andreas Ciolek und Tim Hoffmann) ab. Typisch allerdings, dass er in der letzten Partie wieder remisierte, ohne zu erkennen, dass er bereits deutlich besser stand. Tja, Nils, du spielst besser, als du glaubst! 🙂

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