Königskind im WM-Halbfinale

Klingt nicht schlecht, was? Tatsächlich ist die Meldung nicht falsch: Ich stehe im Halbfinale der offiziellen Weltmeisterschaft. Ehrlicherweise muss ich aber ein wenig präzisieren: Erstens handelt es sich “nur” um Fernschach, zweitens gibt es ziemlich viele Halbfinalturniere (jedenfalls deutlich mehr als die zwei, die man vermuten könnte) und drittens kommt danach noch nicht das Finale, sondern zunächst das Kandidatenturnier. Ganz so groß ist die Sensation daher nicht, aber aufgrund des spannenden Verlaufs meines Vorrundenturniers lohnt sich eine kurze Zusammenfassung trotzdem.

Lange Zeit sah es überhaupt nicht danach aus, dass ich einen der beiden Qualifikationsplätze würde erringen können. Im 13-köpfigen Feld stand ich als Nr. 7 der Setzliste im mittlersten Mittelfeld und entsprechend mittelmäßig ging es auch los. Ich gewann zwar ziemlich leicht gegen den guatemaltekischen Außenseiter Gustavo Juarez, aber das schaffte fast jeder andere auch (0,5/12 holte der Mann). Als der Schweizer Daniel Mouron meine Stellung sehenswert zerpflückte, war meine ohnehin geringe Hoffnung schon so gut wie dahin.

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18.g5!! war äußerst stark. Der Computer versteht es lange Zeit nicht, aber wahrscheinlich steht Weiß schon auf Gewinn. Der Punkt ist, dass er einen Ansatz für den Bauernhebel h3-h4 gewinnt. Wie ich es auch drehe und wende, kann ich entscheidende Linienöffnung nicht verhindern.

Zurück bei 50 Prozent also, zudem war ein Quali-Platz quasi schon vergeben, da Francisco Tarrio Ocana (Spanien) einen Sieg an den anderen reihte. Ich hatte derweil eigentlich nur noch eine Partie, in der ich mir realistische Gewinnchancen ausrechnete, nachdem die Eröffnung trotz der schwarzen Steine sehr gut gelaufen war.

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Diese Stellung gegen Florin Voiculescu (Rumänien) hat mir besonders gefallen. Weiß hat einen Bauern erobert, sich dafür aber ziemlich verkünstelt. Meine Figuren stehen hingegen so, wie man es sich wünscht: Die Schwerfiguren drücken von hinten, der Springer hat einen Stützpunkt im Zentrum und der Läufer steht auch nicht ganz verkehrt. Tatsächlich konnte ich im weiteren Verlauf den Druck erhöhen und einen wertvollen Schwarzsieg einfahren. Die Qualifikation lag aber immer noch in weiter Ferne und ich spielte ohne besondere Ambitionen vor mich hin. Erst etliche Monate später (das Turnier dauerte knapp zwei Jahre) wurde ich etwas optimistischer, als mein vermeintlich nur akademischer Endspielvorteil gegen Aydin Satici (Türkei) immer größer wurde. Und siehe da: ein weiterer Schwarzsieg!

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In dieser Stellung überschritt mein Gegner kurioserweise die Zeit (im Fernschach natürlich eher ungewöhnlich), aber ich glaube, dass ich trotz des stark reduzierten Materials technisch auf Gewinn stehe, auch wenn normalerweise noch eine Menge Geduld nötig gewesen wäre. Früher oder später bringe ich ihn in Zugzwang und dringe ich mit dem König ein.

Zu guter Letzt wurde dann auch noch gegen meinen Landsmann Sergej Zielinski mein schwächlicher Mehrbauer immer stärker und ich gewann auch diese Partie. So schloss ich mit unerwarteten “+3” ab, genau wie der bereits erwähnte Mouron, gegen den ich ja verloren hatte. Nach allen geläufigen Tiebreak-Kriterien wäre ich schlechter dran gewesen: Sonneborn-Berger, direkter Vergleich… nach einer neuen Regel gilt im internationalen Fernschach aber in erster Linie die Zahl der Siege! 4:3 für mich, tataaa…

Wer es noch genauer wissen will, findet hier die Tabelle und kann durch Anklicken der Ergebnisse alle Partien nachspielen. Aufgrund der Computerunterstützung (die, wie man sieht, nicht vor Niederlagen bewahrt) ist das Niveau deutlich höher als in jedem Nahschach-Weltklasseturnier.

2 Kommentare

  1. Gratulation, großer Meister! Ich bin schwer beeindruck! Dann viel Erfolg im WM-Finale? Wann läuft das denn?

  2. Wie gesagt, erst einmal kommt das Halbfinale. Ein solches wird jedes Jahr im Juni gestartet. Die Qualifikation gilt drei Jahre lang, man kann also auch noch warten. Mal schauen, wann es mir zeitlich reinläuft.

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