Landesliga 2014/15 (3)

Wenn der 7:1-Sieg gegen Reutlingen einen Blogeintrag wert ist, dann der 8:0-Sieg gegen Schönbuch doch eigentlich erst recht. Unterhaltsam fand ich das Eröffnungsgeplänkel an Brett 2 (Schmidt – Kramer), an dem ich indirekt auch nicht ganz unbeteiligt war. Also schauen wir es uns doch einfach mal an:


1.e4 Sc6!? An sich gar kein so schlechter Zug, wenn man vernünftig fortsetzt. Übrigens fielen mir einst bei einem französischen Open gleich reihenweise Spezialisten auf, die unerschütterlich mit Weiß 1.Sc3 und mit Schwarz 1…Sc6 gegen alles zelebrierten. Die Suchtgefahr scheint groß zu sein. 2.Sf3 Das natürliche 2.d4 gilt nach der Theorie inzwischen als weniger nachhaltig. Bei besagtem Open spielte jemand 2…d5 gegen mich, das Hauptproblem ist aber Tony Miles’ Lieblingszug 2…e5. 3.Sf3 wäre dann plötzlich Schottisch, aber das hat nicht jeder im Repertoire. 2…Sf6!? Also eines der Sc6-spezifischen Systeme. Objektiv am besten dürfte 2…e5 sein, was gegen manche Leute sogar eine pfiffige Zugfolge sein kann. Natürlich ist das eine ganz normale 1.e4 e5-Stellung, aber Schwarz hat schon ein paar giftige Sachen vermieden, z.B. das Königsgambit oder das Schäfermatt. 3.e5 Sg4!? Jetzt wird es vollends “krumm”. 3…Sd5 ergäbe hier noch ein halbwegs geläufiges “Aljechin”. 4.d4 d6 5.h3 Sh6

kramer
Genau diese seltsame Stellung hatte ich gegen Kramer auch schon auf dem Brett, nämlich vor ein paar Jahren ebenfalls in der Landesliga. Natürlich war ich damals wie immer top vorbereitet und hatte eine tiefschürfende Analyse angefertigt (Computer eine Minute laufen lassen, Bewertung abgelesen). Deren Ergebnis war, dass Weiß nicht etwa die Krücke auf h6 raushauen, sondern sich einfach mit 6.Sc3 weiterentwickeln soll. Martin kannte meine Partie und spielte einfach genauso. Damals ging es weiter mit dem sehr eigenartigen Springer-Fianchetto 6…g6 7.Lg5 Sf5?!? 8.g4 Sg7. “Nicht schön, aber selten”, würde Matthias sagen. Fünf Züge mit dem Springer, nur um ihn auf ein völlig beknacktes Feld zu stellen?? Das konnte man schlecht wiederholen und es kam in der Tat eine Abweichung: 6…dxe5 7.d5 Sd4 8.Sxe5 Shf5 Als ich diese Stellung sah, fiel mir spontan eine Anekdote ein, die sich in der Analyse zweier Weltklassespieler zugetragen haben soll. Jakowenko: “Hätte ich das hier spielen können?” Kramnik: “Nein, das geht nicht.” J: “Und warum nicht?” K: “Weil es der Computer nicht anzeigt!” Schiedsrichter: “Woher weißt du das? Hast du schon wieder auf dem Klo analysiert?” Mir hatte der Computer auch nichts dergleichen angezeigt, also musste es schlecht sein. Gewinnt 9.g4 nicht einfach eine Figur? Offenbar nicht, denn Martin zog nach langem Nachdenken 9.Le3!?, was nach 9…c5 (natürlich nicht 9…Sxe3 10.fxe3 Sf5 11.Lb5+) nicht ganz klar war. Tatsächlich hatte Kramer einen niedlichen Trick in petto, nämlich 9.g4 f6 10.Sc4 Sh4! mit Gabelmotiv auf f3. Überzeugend war die Sache trotzdem keineswegs, denn es ginge ja auch einfach 10.gxf5 fxe5 11.Dh5+ Kd7 12.Ld3 mit klarem Vorteil für Weiß. Zu allem Überfluss gibt es in diesem Abspiel einen mörderischen Computerzug, der Schwarz völlig aushebelt:

Analysediagramm

Analysediagramm

Weiß muss c2 gar nicht decken, sondern steht nach 12.f4!! glatt auf Gewinn, z.B. 12…Sxc2+ 13.Kd1 Sxa1 14.fxe5 mit entscheidendem Angriff. Letztlich war die “Verbesserung” des Schönbuchers also noch schlechter und hätte forciert verlieren können. Vielleicht ein Bluff? Kann sein, aber so toll war die Stellung in der Partie dann auch nicht und Martin stand sowieso bald auf Gewinn. Was lernen wir daraus? Die bewährten Eröffnungsgrundsätze sollte man eben doch normalerweise beachten. Die ganze Idee mit der Springerwanderung an den Rand taugt einfach nichts. Ob Kramer jetzt wohl die Finger davon lässt? Wie gesagt, die Suchtgefahr…

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