Wenn der (Gedanken)Blitz einschlägt…

ist der Gegenüber auf dem Schachbrett meistens vollkommen paralysiert und findet oft genug auch nicht die beste Verteidigung, um die Stellung zu retten. Scheinbar gelungen ist dies jedoch in dem gerade laufenden Turnier von London dem Lokalmatador Michael Adams gegen den Aseri Shakhriyar Mamedyarov. Die folgenden Analysen sind komplett ohne Computerhilfe erstellt, da ich eher einen Eindruck liefern wollte, wie Bewertung und Berechnung einer solchen Stellung auf meinem Niveau ablaufen würde – in den Kommentaren sind aber Verbesserungen, auch computergenerierte, immer willkommen.
Nach einem, meinen Eindruck nach, für Schwarz besser verlaufenden Caro-Kann fand Weiß sich in folgender Stellung wieder:


Vergleichen wir die beiden Stellungen und beginnen wir mit den Leichtfiguren. Der weiße Springer hat auf e4 zwar ein schönes Feld, aber er greift von dort aus keine schwarzen Steine an, bindet somit keine gegnerischen Figuren. d6 ist als Einbruchsfeld derzeit nutzlos, da lediglich ein Bauern verloren gehen würde. Der Springer nimmt zwar c5 unter Kontrolle, aber es ist nicht zu sehen, dass Schwarz dieses Feld als Operationsbasis nutzen möchte. Dagegen ist der schwarze Springer eine typische Krake, zu vertreiben lediglich von dem Bauern c3. c3-c4 ist jedoch auf jeden Fall zweischneidig.
Noch größer ist der schwarze Vorteil beim Vergleich der Läufer. Während der weiße Läufer kaum Felder hat, die er ausnutzen kann, zielt der Schwarze auf den Königsflügel und kann dort Drohungen erzeugen.
Die Türme sind etwa gleichwertig zu bewerten, während die schwarze Dame im Angriff wohl etwas mehr Möglichkeiten hat als die weiße in der Verteidigung entlang der 3.Reihe.
Was ist mit dem Königsflügel? Hat Weiß dort nicht mehr Möglichkeiten? Ja, hat der Weiße – aber derzeit sind die schwarzen Figuren am Damenflügel wohl zu bedrohlich aufmarschiert, als das man einen Gegenangriff am Königsflügel starten sollte.
Was macht Adams? Er möchte mit dem Springer eine der stärksten Figuren des Schwarzen vertreiben und bereitet deshalb mit
19.b3 den Aufmarsch des c3-Bauern vor, der gleichzeitig auch dem Läufer auf d2 mehr Möglichkeiten geben würde. Da nun auch die Gabel droht, zieht Schwarz den Springer sofort zurück 19…Sb6 20.De2 und nun entkorkte Mamedyarov den erwähnten Gedankenblitz 20…Td3!?!

Ich weiß leider nicht, ob Adams den Zug vorhergesehen hat – ich habe ihn nicht. Tatsächlich dachte ich bei der Verfolgung der Partie an einen Übertragungsfehler. Aber in Wirklichkeit… Der Springer ist angegriffen. Wenn er zieht, folgt Txc3 mit Damenverlust. Vernünftig zu decken ist der Springer wohl auch nicht, ohne den schwarzen Figuren ein weiteres Tempo für den Angriff zu erlauben. Aber gibt es nicht auch noch einfach
21.c4 Da6 22.Dxd3 mit Gewinn den Turmes? Nun, nach 22….Dxa2 steckt Weiß trotz Mehrturm in Schwierigkeiten.

Es droht La3#. Mit 23.b4 kann die Diagonale gesperrt werden, aber nach 23…Sxc4 droht das nächste Matt auf b2. Nach 24.Db1 folgt 24….Da3+ 25.Kc2 Dxg3 und Schwarz hat zwei Bauern für die Qualität und der Angriff läuft immernoch (eventuell beendet 25…Td8 das Spiel noch schneller, aber es reicht, diesen Rückgewinn der Figur zu sehen). Eine andere Möglichkeit wäre 24.Lc3, aber darauf kann Schwarz die Partie sofort beenden – wie?

5 Kommentare

  1. Diese Partie ist mir beim flüchtigen Durchklicken auch ins Auge gesprungen. Ich habe auch noch keine Ahnung, was der Automat sagt, aber ein toller Kampf war es allemal. Zaubern mit Caro-Kann 🙂

  2. Ja – du darfst auch gerne noch etwas zu der Eröffnung dazuschreiben, falls du dich berufen fühlst^^. Das war ja auch alles andere als der übliche Caro-Kann, oder?

    Danke übrigens an Dennis aus Horb, der mich hier auf einige Flüchtigkeitsfehler in der Notation hingewiesen hat.

  3. Die Partie hatte ich auch schon nachgespielt, und bei 20…Td3!? gedacht: typisch Mamedyarov, selbst im ruhigen Caro-Kann brennt plötzlich das Brett!

  4. Adams hat die Partie so zusammengefasst, dass sein Gegner die Eröffnung kreativ und gut gespielt habe, das Opfer (das er wohl nicht auf der Rechnung hatte, auch wenn er es nicht eindeutig gesagt hat) aber nicht ganz korrekt gewesen sei. Der Punkt ist wohl, dass das Endspiel einfach gut für Weiß ist. Schwarz hat zwar zwei Bauern für die Qualle, aber g7 ist eine unangenehme Schwäche. Außerdem war 29…Le3? ein unsinniger Tempoverlust, da das Nehmen auf f4 sowieso nicht gut ist (Weiß dringt auf der siebten Reihe ein). Nach 30.Td3 kam daher 30…Lb6 und hier verpasste Adams das starke Manöver 31.Th4! mit der Idee Tg4 und Tdg3. Schwarz kann seine Struktur nicht halten und steht wohl auf Verlust.

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